Interview: Einblicke in das Übersetzungslektorat Chinesisch

08.10.2023CBND

Auf der Veranstaltung Online-Gesprächsrunde „China im Druck“ des Konfuzius-Instituts Metropole Ruhr im Juni 2022 ist Stefanie L. Hegger auf Nora Frisch aufmerksam geworden.

Gemeinsam haben Nora Frisch und Stefanie L. Hegger das Kapitel „Übersetzungslektorat Chinesisch: Kontext, Eigennamen und Sprachbilder“ verfasst, das im September 2023 im Handbuch Übersetzungslektorat erschienen ist. Lektoriert wurde der Beitrag von Veronika Licher.

Für das CBND haben die beiden Autorinnen und ihre Lektorin Fragen zu ihrer Arbeit als Übersetzungslektorin beantwortet. Die Fragen stellte das Konfuzius-Institut Metropole-Ruhr:

 

1. Was ist der Unterschied zwischen den Aufgaben des Übersetzungslektorats und den Aufgaben des herkömmlichen Lektorats bzw. Korrektorat?

Frisch:  Im Falle eines Übersetzungslektorats ist es aus meiner Sicht hilfreich, wenn die Lektor/innen Kenntnisse des kulturellen Hintergrunds mitbringen. So lassen sich Dinge besser einordnen und aufwendige Recherchearbeiten können mitunter erspart bleiben.

Hegger:  Ich finde zwei Aspekte wesentlich, durch die sich die Aufgaben im Lektorat und im Übersetzungslektorat unterscheiden können: Es gibt einen Originaltext und man arbeitet hauptsächlich mit Übersetzer:innen und nicht mit Autor:innen zusammen.

Licher:  Die Übergänge sind fließend und hängen meiner Erfahrung nach sehr vom jeweiligen Auftrag und den Umständen ab. Es kommt zum Beispiel auch vor, dass in originär deutschsprachigen Texten längere übersetzte Passagen integriert sind.

 

2. Wie sind Sie auf den Bedarf eines speziellen Übersetzungslektorats aufmerksam geworden? Wie sind Sie zu der Arbeit im Übersetzungslektorat gekommen? Was hat Sie dazu inspiriert, den Artikel zu schreiben?

Frisch:  Als Verlagsleiterin habe ich viel mit Lektorinnen und Lektoren zu tun und ich lektoriere auch viel selbst. Im Laufe der Zeit ist mir aufgefallen, wie wichtig es ist, dass auch Lektor/innen in der Lage sind, den Kontext, in dem die Geschichten spielen, zu verstehen. Sie können dann – wo notwendig – erläuternde Informationen in einem Nebensatz ergänzen, um der Leserschaft kulturelle Eigenheiten zu erklären.

Hegger:  Während meiner Zeit in China habe ich an der Übersetzung von Texten aus dem Chinesischen ins Deutsche für das Marketing und Business Development mitgearbeitet. Hierbei habe ich nicht nur den speziellen Bedarf, sondern auch meine Passion für das Lektorat entdeckt. Bei der Korrektur von Übersetzungen aus dem Chinesischen stoße ich regelmäßig darauf, dass Eigennamen für die deutsche Leserschaft unverständlich – und auch umständlich – übersetzt werden. Das kann die Freude am Lesen von Texten aus dem Chinesischen nehmen. Als Lektorin suche ich dafür nach Lösungsmöglichkeiten. Da ich eine sinnvolle Übersetzung von Eigennamen wichtig finde, damit Texte in einem anderen Kulturraum gut ankommen, wollte ich darüber schreiben.

Licher:  Ich hatte immer wieder Lektoratsaufträge auf dem Tisch, bei denen mir bei der Auftragsvergabe gar nicht gesagt worden war, dass es sich um Übersetzungen handelt. Es gab aber meistens sehr schnell Unstimmigkeiten, die ich mir zunächst nicht erklären konnte, die erst Sinn ergaben, als ich erfuhr, dass es sich um Übersetzungen handelte. Auf Nachfragen habe ich dann meist den Kontakt zu den Übersetzenden sowie auch den Ursprungstext bekommen, um die Texte besser abgleichen zu können. Auf diese Weise habe ich viele Erfahrungen gesammelt, die ich natürlich gerne weitergebe.

 

3. Wie nehmen Übersetzer*innen dieses Lektorat auf? Sie entscheiden doch über den Transfer von Formulierungen, Wortbildern etc.?

Frisch:  Das ist sehr stark persönlichkeitsabhängig! Manche finden größere Eingriffe in den Text gut, andere haben wenig Verständnis dafür.

Hegger:  Ähnlich wie Autor:innen auch: Für einige ist das Lektorat der Freund, für andere der Feind. Nicht umsonst sollten Lektor:innen Empathie und einen feinfühligen Umgang mit Übersetzer:innen, aber auch beispielsweise mit Autor:innen, Grafiker:innen und Verlagen haben. Schlussendlich sind es oft die Übersetzer:innen, die bei einer Publikation genannt werden – egal wie viel ein:e Lektor:in am Text mitgearbeitet hat. Entsprechend richten sich auch Lob oder Kritik an die Übersetzer:innen. 

Licher:  Gelingende Kommunikation und gemeinsame Absprachen auch mit dem Auftraggeber sind meiner Erfahrung nach essenziell für ein fließendes Lektorieren des Textes. Ich habe bisher nur sehr dankbare Übersetzer*innen erlebt – wir Lektor*innen können ja aus einer ganz anderen Außensicht noch einmal insgesamt auf den Text schauen und die Übertragung in einen anderen kulturellen Raum nachvollziehen.

 
4. Wie sehr hat die Arbeit im Übersetzungslektorat Ihr Verständnis der chinesischen Sprache beeinflusst/verändert?

Frisch:  Man lernt nie aus! Jedes Buch ist anders und bringt neue Herausforderungen – und neue Formulierungen mit sich.

Hegger:  Als Lektorin schaue ich mir Texte mit einer gewissen Distanz an – sowohl den chinesischen Originaltext als auch die Übersetzung. Da fallen mir schon noch einmal andere Feinheiten auf, als wenn ich einen Text übersetze.

Licher:  Es geht ja nicht nur im eigentlichen Sinne um die Sprache, sondern man lernt auch viel darüber, wie chinesische Autor*innen z. B. ihre Texte strukturieren – was ist daran anders? Wo muss ich für die deutschen Leser*innen etwas erklären? Was lassen sie weg, was in einer sehr präzisen Sprache wie der deutschen ergänzt werden muss? Wo muss ich Übergänge schaffen?

 
5. Was unterscheidet die Arbeit eines Übersetzungslektorats von einem Übersetzungsbüro? Lektorieren Übersetzungsbüros – nicht einzelne Übersetzer*innen – eventuell auch?

Frisch:  Die Beziehung ist doch weitaus persönlicher, wenn man mit den Lektoren in direktem Kontakt steht und nicht nur einen Text abgibt und ihn bearbeitet zurückbekommt! Auf diese Weise lassen sich einzelne Formulierungen diskutieren und erklären, warum man sich für dieses oder bewusst gegen jenes Wort entschieden hat.

Hegger:  Es kann sein, dass in einem Übersetzungsbüro auch Übersetzungslektor:innen arbeiten. Oder Lektor:innen bei Bedarf von dem Übersetzungsbüro hinzugebucht werden.

Licher:  Meist werden für die Buch- oder Zeitschriftenprojekte, an denen ich gearbeitet habe, freie Übersetzer*innen engagiert. Gerade im Sach- und Fachbuchbereich ist es manchmal sehr schwierig, überhaupt passende Übersetzer*innen aus dem Chinesischen zu finden. Letztlich arbeiten aber ja auch in Übersetzungsbüros einzelne Menschen ­– und inwieweit ein Lektorat integriert ist, hängt sicher vom jeweiligen Büro und dem einzelnen Auftrag ab.

 
6. Inwieweit helfen digitale Übersetzungsplattformen bei der Korrekturarbeit? Können Sie die Arbeit des Übersetzungslektorats unterstützen/ersetzen?

Frisch:  Ich denke, dass man KI durchaus unterstützend einsetzen kann, letztendlich können digitale Übersetzungsmaschinen aber besonders im Fall von Literaturübersetzungen noch lange nicht das leisten, was gute Übersetzer/innen zu leisten in der Lage sind: Nämlich das sorgfältige Auswählen von Formulierungen, Wörtern und Begriffen … Das gilt auch für das Korrektorat und das Lektorat.

Hegger:  Wenn Übersetzer:innen für die Übersetzung digitale Tools verwenden, kann das einen erheblichen Einfluss auf die Korrekturarbeit von Übersetzungslektor:innen haben. Das sollte unter anderem bei der Honorarkalkulation berücksichtigt werden, weil der Arbeitsumfang für das Lektorat erheblich variieren kann – und zwar dahingehend, dass das Lektorat von Texten, die mit digitalen Übersetzungsplattformen übersetzt wurden, zu deutlich mehr Aufwand führen kann. Nichtsdestotrotz sollten Lektor:innen sich mit digitalen Tools auskennen und wissen, was sie leisten und wie sie sinnvoll eingesetzt werden können.

Licher:  Neben der technischen Unterstützung der Terminologiearbeit habe ich bisher eher Erfahrungen damit gesammelt, wenn ein Übersetzungsprogramm genutzt wurde. Auch wenn die maschinelle Übersetzung sich massiv verbessert hat, war in den Projekten, die ich bearbeitet habe, der Aufwand für das Nachlektorieren in diesen Fällen sehr viel größer als bei Humanübersetzungen. Es kam auch schon vor, dass ein Text noch einmal ganz neu professionell übersetzt werden musste.

 
7. Welche Techniken wenden Sie bei der Korrektur der Texte an? Wie gehen Sie mit Vokabeln um, für die es in der Zielsprache keine direkte Übersetzung gibt? Wie werden diese Wörter auf Richtigkeit überprüft?

Frisch:  Aus meiner Sicht ist es das Wichtigste, dass ein Text in der Zielsprache gut funktioniert. Ich muss das Bild, das transportiert werden soll, im Kopf haben und das auf Deutsch perfekt beschreiben können. Dabei ist es nicht so wichtig, ob einzelne Worte tatsächlich ganz genau übertragen werden – das Atmosphäre, das Bild, die Idee, die der Autor ausdrücken will, das ist letztendlich das, was den deutschen Lesern vermittelt werden muss.

Hegger:  Zu den Korrekturtechniken: Wenn möglich, habe ich für das Übersetzungslektorat immer gern den Originaltext in chinesischer Sprache vorliegen. Bei der Übersetzung müssen das Gesamtbild, der Lesefluss und die Verständlichkeit stimmen. Direkte Übersetzungen sind daher nicht zweckdienlich und können nicht direkt auf ihre Richtigkeit überprüft werden.

Licher:  Für die Umsetzung ist ja in erster Linie der/die Übersetzende zuständig. Für mich geht es mehr darum, ob es für die Lesenden einen schlüssigen Sinnzusammenhang ergibt und atmosphärisch ein Bild wiedergegeben wird, das dem im Ursprungstext in etwa entspricht.

 
8. Welchen Rat würden Sie angehenden Übersetzungslektoren/-innen geben?

Frisch:  Einen guten Rat, den ich von meiner tollen Mentorin Karin Betz bekommen habe, möchte ich hier gerne weitergeben: Ein kleines Büchlein anlegen, in dem man sich beim Lesen besonders schöne Formulierungen notiert, um sie bei Gelegenheit einmal selbst benutzen zu können!

Hegger:  Übersetzungslektor:innen haben – neben den Übersetzer:innen – eine Verantwortung, Kulturen über das Medium Text von einem Sprachraum in einen anderen zu überführen. Sie dürfen daher in der Beratung der Verlage und zum Teil auch der Übersetzer:innen mutig sein, wenn ihnen Unstimmigkeiten auffallen, natürlich freundlich und empathisch. Empfehlen kann ich die Vernetzung mit anderen Übersetzungslektor:innen, zum Beispiel im Verband der Freien Lektorinnen und Lektoren (VFLL e. V.). Der Berufsverband freut sich über Nachwuchs, weshalb Neulinge auch an die Hand genommen werden und hilfreiche Tipps für den beruflichen Werdegang als professionelle Übersetzungslektor:innen erhalten.

Licher:  Wesentlich ist für mich die Kommunikation mit den Übersetzenden – und manchmal auch mit den Autor*innen selbst, wenn dies möglich ist. Ich empfehle außerdem jungen Kolleg:innen, in jedem Fall eine präzise Auftragsklärung anzustreben – da dürfen sie gern auch beharrlich nachhaken. Denn manchmal sind den Auftraggeber:innen die Tücken und Besonderheiten, die insbesondere eine Übertragung aus dem Chinesischen mit sich bringt, nicht immer bewusst.

 

Das CBND bedankt sich herzlich bei allen Beteiligten für das Interview!

Über die Interviepartnerinnen

Nora Frisch gründete im Oktober 2010 den Drachenhaus Verlag. Zuvor promovierte sie im Fach Moderne Sinologie. Dr. Nora Frisch studierte Sinologie und Musikwissenschaften in Wien, Peking, Taipeh und Heidelberg. Sie arbeitete als Werbetexterin, wissenschaftliche Assistentin und baute eine Freie Schule auf.

Seit 2012 arbeitet Stefanie L. Hegger als freie Lektorin. Darüber hinaus ist sie als Dozentin, Beraterin und interkulturelle Trainerin tätig. Stefanie L. Hegger hat Ostasienwissenschaften mit den Schwerpunkten Wirtschaftswissenschaften und China sowie Chinesisch studiert. Das Lektorat entwickelte sich aus ihren Tätigkeiten im Marketing und Business Development in China und Deutschland. Sie ist CBND-Gründungsmitglied.

Veronika Licher ist seit 2001 selbstständig in der Verlagsbranche und als Redakteurin, Lektorin, Coach und Verlagsberaterin mit Schwerpunkt VR China unterwegs. Sie berichtete bis 2015 regelmäßig von den Pekinger Buchmessen und repräsentierte oder beriet Firmen und Verlage. Sie ist Diplom-Informatikerin und arbeitete in der Maschinellen Sprachübersetzung sowie der Psychologie, außerdem studierte sie eine Zeitlang Chinesisch für den Außenhandel in Peking.

Über das Handbuch Übersetzungslektorat:

Das Berufsfeld Übersetzungslektorat ist die Nische in der Nische: Die breite Öffentlichkeit weiß kaum, was im Lektorat geschieht, und kennt noch weniger den Begriff Übersetzungslektorat. Doch hinter jeder guten Übersetzung – vom Krimi über die Spieleanleitung bis zum Fachbuch – steht immer auch ein Lektorat. In diesem Handbuch teilen erstmals mehr als 20 erfahrene Übersetzungslektor*innen ihre Expertise. Sie geben Tipps zu verschiedensten Genres, Textsorten und Sprachen, dazu, wie Zusammenarbeit bestmöglich gelingt, und grenzen die Übersetzung vom Lektorat ab. Ebenso werden hochaktuelle und zukunftsträchtige Themen wie Leichte Sprache und maschinelle Übersetzungen behandelt. Praktisches wie Honorare, rechtliche Fragen sowie ein umfassender Serviceteil beschließen dieses Handbuch, um Berufseinsteiger*innen und Lektoratsprofis alle nötigen Informationen für eine erfolgreiche Tätigkeit als Übersetzungslektor*in an die Hand zu geben. In Kooperation zwischen dem BDÜ Weiterbildungs- und Fachverlag und dem Verband der Freien Lektorinnen und Lektoren (VFLL e. V.) ist so ein Standardwerk im Bereich Übersetzungslektorat entstanden.

Das Handbuch Übersetzungslektorat kann über den folgenden Link bestellt werden: www.bdue-fachverlag.de/detail_book/165

Das Buch ist in Zusammenarbeit mit dem Verband der Freien Lektorinnen und Lektoren (VFLL e. V.) und dem BDÜ Weiterbildungs- und Fachverlag entstanden. Nora Frisch, Stefanie L. Hegger und Veronika Licher haben an diesem Standardwerk für das Übersetzungslektorat mitgearbeitet.