Rückblick Vortrag „Decoupling, De-risking or Re-engagement? The Securitization of EU-China Policies“

12.12.2023Susanne Löhr

Wie mit China umgehen? Diese Frage beschäftigt die Regierungen in Europa ebenso wie die EU selbst. Prof. Dr. Jörn-Carsten Gottwald, China-Experte an der Ruhr-Universität Bochum, der sich insbesondere mit den Beziehungen zwischen China und der EU befasst, betrachtete in einem Vortrag am Konfuzius-Institut Metropole Ruhr zunächst die Entwicklung der europäisch-chinesischen Beziehungen in den vergangenen 20 Jahren. Im Jahr 2003 vereinbarten beide Seiten eine „strategische Partnerschaft“, die 2013 zu einer „umfassenden Partnerschaft“ (comprehensive partnership) aufgewertet wurde. Im Laufe der Jahre entwickelten sich in verschiedenen Bereichen zahlreiche europäisch-chinesische Dialogformate, die einen kontinuierlichen Austausch ermöglichten. Eine Zäsur erfolgte im Jahr 2019, als die  EU-Kommission die Partnerschaft mit China neu bewertete und China nicht nur als Partner, sondern auch als Wettbewerber und Rivalen einstufte. Zwar wurde unmittelbar danach noch das Comprehensive Agreement on Investment (CAI) abgeschlossen, jedoch nie ratifiziert, da die EU Xinjiang-bezogene Sanktionen verhängte und Peking mit Sanktionen gegen Abgeordnete des Europäischen Parlaments und Think Tanks konterte.

Die Theorie geht davon aus, dass Rollen im internationalen System nicht unilateral verändert werden können. Das heißt, die Gründe für einen Rollenwechsel sind auf beiden Seiten zu finden. Jörn-Carsten Gottwald identifizierte erstens Veränderungen im allgemeinen internationalen Umfeld, wie zum Beispiel die weltweite Corona-Pandemie, Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine sowie die zunehmende technologische Konkurrenz zwischen China und den USA. Zweitens gebe es auch innerchinesische Gründe, wie ein Wandel in der Industriepolitik, eine allgemeine Ideologisierung oder der Umgang mit den autonomen Gebieten (Xinjiang) oder den Sonderverwaltungszonen (Hongkong). Und drittens hat sich auch die EU durch mehrere Krisen verändert, wie zum Beispiel der BREXIT oder der aufkeimende Populismus in einigen Mitgliedsstaaten.

Jörn-Carsten Gottwald kommt zu dem Schluss, dass ein „Missmatch“ der Rollen bestehe. China verstehe sich vor allem aus innenpolitisch motivierten Gründen als globale Führungsmacht, während die EU sich als globale normative Macht sehe. Vor 15 Jahren sei es in den Beziehungen zwischen China und der EU vor allem um die Realisierung von Win-Win-Konstellationen gegangen, heute stehe für beide Seiten das Thema Sicherheit im Mittelpunkt. Interessanterweise griffen beide Seiten in ihren (internen) Begründungen das Konzept der Sicherheit auf. So werde in China die zunehmende Kontrolle in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft mit der Gewährleistung von Sicherheit begründet. Aber auch von europäischer Seite finde das Thema Sicherheit Eingang in die europäisch-chinesischen Beziehungen, zum Beispiel bei Investitionskontrollen oder Lieferkettengesetzen.

„De-risking“ ist die neue Überschrift, unter der die EU die Beziehungen zu China verstanden wissen möchte. Sie folge der Rollendifferenzierung Partner, Wettbewerber, Rivale und ermögliche es der EU, mit Risiken umzugehen und mit China zu interagieren, anstatt Beziehungen zu kappen. High-level Dialogformate auf der Arbeitsebene konnten so wieder aufgenommen werden, was aber nicht bedeute, dass europäisch-chinesische Gipfeltreffen konfliktfrei seien. Jörn-Carsten Gottwald kommt zu dem Schluss, dass man wieder von einem „Match“ der Rollen beider Seiten sprechen könne, da die chinesische Seite die De-risking-Strategie und Rollenausdifferenzierung der EU vorerst akzeptiere.

Der Vortrag fand am 24. Oktober 2023 am Konfuzius-Institut Metropole Ruhr statt und wurde in englischer Sprache gehalten.

Wie mit China umgehen? Prof. Dr. Jörn-Carsten Gottwald, China-Experte an der Ruhr-Universität Bochum, sprach zu diesem Thema am Konfuzius-Institut Metropole Ruhr.