Die deutsch-chinesischen Beziehungen im Herbst 2022

24.10.2022Johannes Pflug

Am 11. Oktober vor 50 Jahren unterzeichneten der deutsche Außenminister Walter Scheel und der chinesische Außenminister Ji Pengfei in Peking gemeinsam die Urkunden zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen den beiden Staaten. In diesen 50 Jahren haben sich die Beziehungen dynamisch und positiv entwickelt, insbesondere die Wirtschaftsbeziehungen. Die Gesamtbilanz betrug im Jahr 2021 245,4 Mrd. EUR. Mit deutschen Exporten in Höhe von 103,4 Mrd. EUR nach China und chinesischen Importen von 142 Mrd. EUR nach Deutschland ist China ununterbrochen seit 6 Jahren Deutschlands größter Handelspartner. In Europa ist Deutschland Chinas wichtigster Handelspartner. Eigentlich ein Grund für ein Glas Champagner. Aber die Verhältnisse, sie sind nicht so.

Globale Abhängigkeiten und der Ukraine-Krieg

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine und der Einsatz der russischen Energielieferungen als Waffe gegen Deutschland und Europa zeigen schmerzliche Abhängigkeiten, welche die Volkswirtschaften empfindlich treffen. Sicher ein wichtiger Grund, um über solche Abhängigkeiten nachzudenken. Genauso sicher kein Grund, um in analoger Denkweise die Abhängigkeit von russischer Energie gleichzusetzen mit der Abhängigkeit großer deutscher Unternehmen zum Beispiel in der Automobil- und Chemieindustrie von ihren Exporten nach China.

Dies aber geschieht nun täglich in den Medien und in den Verlautbarungen von nicht wenigen Politikern. Das Kind wird mit dem Bade ausgeschüttet. Den zum Teil schon in der Vergangenheit sehr rustikalen Absichtsbeschreibungen chinesischer Außenpolitik wird ein weiterer grober Klotz aufgesetzt.

Es gibt genügend Gründe, um über Abhängigkeiten von seltenen Erden, wichtigen Metallen, Chips, Solarpanels, Medikamenten und dergleichen mehr nachzudenken. Der amerikanisch-chinesische Handelskrieg und die seit drei Jahren andauernde Covid-Pandemie haben ohnehin zur Veränderung von Liefer- und Wertschöpfungsketten geführt; das zunehmend angespannte Verhältnis zwischen USA und China entwickelt sich immer stärker in Richtung einer globalen Konfrontation der beiden Supermächte. Der Krieg in der Ukraine tut sein Übriges dazu. Allerdings lohnt es sich, Chinas Haltung in diesem Krieg sehr aufmerksam zu beobachten und zu analysieren. Nach ständigen Stimmenthaltungen in den Gremien der Vereinten Nationen hat China anfänglich eine deutlich prorussische Haltung eingenommen, die aber in den letzten Wochen eher einer distanzierteren Haltung gewichen ist. Im Übrigen liefert China den Russen keine Kriegswaffen. Die zunehmenden nuklearen Drohungen Russlands werden von China mit Sicherheit nicht gebilligt.

Wahlen in China und den USA

Nichtsdestotrotz hat der chinesische Partei- und Staatschef auf dem 20. Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) in seinem Rechenschaftsbericht eine überaus ideologische Rede mit Vorwürfen gegen die USA und den Westen gehalten und für China eine globale Führungs- und Gestaltungsabsicht betont. Den Einsatz von Gewalt gegen Taiwan hat er nicht ausgeschlossen, allerdings auch betont, dass China weiterhin versuchen werde, eine friedliche Wiedervereinigungsperspektive mit dem Inselstaat zu entwickeln. Auch von Xi´s Seite wurde übrigens der verstärkte Abbau von Abhängigkeiten von anderen Staaten als verstärkt fortzusetzendes Ziel chinesischer Wirtschaftspolitik gefordert.

Also alles in allem keine günstigen oder erfreulichen Entwicklungen im Jahre des 50-jährigen Jubiläums der deutsch-chinesischen Beziehungen. Auf dem Parteitag der KPCh wird Xi für eine dritte Periode als Parteichef gewählt, im Frühjahr nächsten Jahres dann als Staatschef bestätigt. Dies ist nur möglich durch eine bereits vor 3 ½ Jahren beschlossene Verfassungsänderung der Volksrepublik.

Am 8. November wählen die Amerikaner ein Drittel der Senatsmitglieder und das gesamte Abgeordnetenhaus neu. Seit Monaten sagen die Meinungsforschungsinstitute den Demokraten den Verlust ihrer Mehrheit im Abgeordnetenhaus und wahrscheinlich auch im Senat voraus.

Allerdings haben sich in den letzten Wochen die Chancen für die Demokratische Partei verbessert. Wie auch immer: Die Beziehungen zu China bleiben für den amerikanischen Präsidenten Joe Biden im Wesentlichen auch Innenpolitik. Im Falle des Mehrheitsverlustes wäre er in einem anzustrebenden konstruktiven Verhältnis zu China nahezu gelähmt durch die Republikaner. Keine guten Aussichten für Kampf gegen den Klimawandel, Pandemie, Rüstungskontrolle, den zunehmenden Hunger in Afrika und Asien und einiges mehr.

Neue China-Strategie für Deutschland

Vielleicht verbessert der Besuch von Bundeskanzler Scholz am 3. und 4. November in China das belastete Verhältnis etwas. Die in diesen Wochen vor der Finalisierung stehende China-Strategie unseres Auswärtigen Amtes lässt aber offensichtlich für die Trias „China ist Partner, Konkurrent und systemischer Rivale“ etwas andere erwarten. In seiner Haltung zu China dominiert in unserem Außenministerium immer mehr die Einstellung, China überwiegend als Rivalen anzusehen. Das Kanzleramt hat dieser Einstellung bereits widersprochen.

Am 15. und 16.11. haben Kanzler, europäische Staatschefs und der US-Präsident auf dem G20-Gipfel die Gelegenheit, mit ihrem chinesischen Kollegen über die gefährliche Weltlage zu sprechen. Auch über den Krieg in der Ukraine und die Voraussetzungen für seine Beendigung. Eines ist klar: Nach dem Ende des Krieges wird es zwei globale Supermächte geben, die zugleich Ordnungsmächte sind, nämlich die USA und China. Sie lösen die alte Nachkriegsordnung nach dem 2. Weltkrieg endgültig ab. Die Europäer könnten ein wichtiger

Partner der USA sein. Es liegt an ihnen selbst und am künftigen amerikanischen Präsidenten des Jahres  2025. Die Russen werden bestenfalls Juniorpartner Chinas sein undPutins Tage werden dann gezählt sein.