Deutsche Außenpolitik zu Beginn des Jahres 2022

07.01.2022Johannes Pflug

Im Mai 2006 lud der damalige chinesische Botschafter in Berlin, Ma Canrong, mich als Vorsitzenden der deutsch-chinesischen Parlamentariergruppe des Deutschen Bundestages zu einem Gespräch unter vier Augen ein, in dem es unter anderem um die Außenpolitik der neuen Bundesregierung unter Kanzlerin Merkel ging. Natürlich interessierte den Botschafter insbesondere die künftige Chinapolitik der Kanzlerin und er fragte mich: „Herr Pflug, wird Bundeskanzlerin Merkel die sehr kooperationsbetonte und chinafreundliche Politik ihres Vorgängers Schröder fortsetzen oder wird sie eine wertorientierte Außenpolitik einschlagen?“ Ich antwortete ihm: „Herr Botschafter, es scheint so, dass Frau Merkel im Augenblick stärker werteorientiert argumentiert, aber da muss man genauer hinsehen, was das bedeutet. Schließlich hat sie als Oppositionsführerin den Irakkrieg des amerikanischen Präsidenten Bush befürwortet, der diesen ja rein wertemäßig begründet hat. Aus unserer Sicht der Sozialdemokraten hatte dieser Krieg mit dem Einsatz für Menschenrechte und Kampf gegen den Terror nichts zu tun.

Außerdem hat Frau Merkel mit Frank Walter Steinmeier einen Außenminister, der bis zur Neubildung des jetzigen Kabinetts das Kanzleramt von Schröder geleitet hat und dessen engster Vertrauter war. Er wird sich für die Kontinuität der Beziehungen einsetzen. Darüber hinaus sollte man nicht übersehen, dass die große Mehrheit der Unionsfraktionen sehr deutlich ökonomisch orientiert ist. Das spricht für eine sehr starke Vertretung von wirtschaftlichen Interessen auch in der Außenpolitik. Das wird bereits in den nächsten Monaten deutlich werden. Frau Merkel wird die Chinapolitik ihres Vorgängers fortsetzen.“

China war mit Merkels Chinapolitik sehr zufrieden

Wie wir heute wissen, ist dies genau der Fall gewesen und die Chinesen waren mit Merkels Chinapolitik sehr zufrieden.

Am 19. November letzten Jahres fand in der Frankfurter Universität eine von Prof. Michel Friedmann geleitete Podiumsdiskussion zwischen dem Duisburger Sinologen Prof. Thomas Heberer und dem Mitglied des Europäischen Parlaments, Reinhard Bütikofer von den Grünen, über die Chinapolitik der Grünen statt. In dieser Diskussion fragte Prof. Friedmann nach den Eingangsstatements der beiden Diskutanten Reinhard Bütikofer: „95 Prozent ihres Vortrages sind nicht nur kritische Bemerkungen, sondern deutliche Einordnungen. Da stellt sich mir in der Konklusion die Frage: Wie wollen Sie denn damit umgehen, wenn sie den Partner so beschreiben, wie Sie es tun, in dieser von mir so benannten Eindeutigkeit? Wie wollen Sie dem denn begegnen in der Dimension des politischen miteinander Praktizierens und dabei auch noch glaubwürdig bleiben?“ ( Anmerkung von mir: Die von Bütikofer vorgetragenen Punkte waren alle negativ in Bezug auf China).

Ich erwähne das, weil Reinhard Bütikofer als Vorsitzender der Chinagruppe des Europäischen Parlamentes die Chinapolitik desselben in den letzten Jahren maßgeblich bestimmt hat und ebenso die der Partei und der Fraktion der Grünen im Deutschen Bundestag. Auch die neue Außenministerin Annalena Baerbock wurde maßgeblich beeinflusst durch Bütikofer und seine Freunde.

Was die Vertreter dieser chinafeindlichen (Ich spreche ausdrücklich nicht von chinakritischen Politik, die ich für richtig halte) sehr schnell begreifen müssen, ist, dass wirksamer Klimaschutz, Pandemiebekämpfung, Verwirklichung von Nachhaltigkeitszielen und Verfolgung anderer globaler Ziele wie zum Beispiel der Erhalt des Weltfriedens ohne China nicht möglich sind, schon gar nicht gegen China. Ich habe noch nicht über unsere eigenen wirtschaftlichen Interessen gesprochen und verweise auf frühere Ausgaben des CBND-Newsletters. Erwähnt seien die deutsche Automobilindustrie, chemische Industrie, Anlagenbau, Kooperation im Bereich der KI und mehr.

Wer mitbestimmen will, muss kompromissbereit sein

Nun wird die Außenpolitik nicht nur im Auswärtigen Amt gemacht, sondern zu großen Teilen auch im Kanzleramt. Die außenpolitische Laiin Baerbock wird nun immer stärker unter den Einfluss ihrer Berufsdiplomaten geraten und bald begreifen, dass eine vernünftige Außenpolitik sich immer in der Bandbreite zwischen Interessenorientierung einerseits und Werteorientierung andererseits zu bewegen hat. Die Mehrheitsentscheidung der EU-Kommission, Gas und Kernenergie als umweltfreundlich zu klassifizieren, zeigt Baerbock und den Deutschen die Grenzen ihrer Möglichkeiten auf. Wer mitbestimmen will, muss kompromissbereit sein und darf nicht die reine Lehre vertreten, sonst landet er oder sie bald in der Einfluss- oder sogar Bedeutungslosigkeit.

Die neuesten Personalentscheidungen der Außenministerin für die wichtigsten Führungspositionen im Auswärtigen Amt lassen deutlich Realitätssinn sowie Kompetenz und Erfahrung als wichtigstes Kriterium für die Besetzung erkennen. Mit Andreas Michaelis hat sie einen Staatssekretär ernannt, der unter Josef Fischer bereits verschiedene wichtige Positionen innehatte wie das Amt des Politischen Direktors und auch schon einmal des Staatssekretärs. Er hat unter dem Realo und Irakkriegsgegner Fischer realitätsbezogene Außenpolitik gelernt. Lange Verhandlungserfahrungen hat auch die neue Staatssekretärin Susanne Baumann insbesondere auf den Gebieten der Rüstungskontrolle und Abrüstungspolitik. Unter Bundesminister Heiko Maas war sie zugleich als Beauftragte der Bundesregierung für internationale Ordnung, Vereinte Nationen und Rüstungskontrolle. Die neue Politische Direktorin Tjorven Bellmann hat eigene Erfahrungen als Diplomatin in Teheran und in Israel gesammelt und wird mit ihrem Aufgabenbereich auch die Atomverhandlungen mit dem Iran betreuen. Partner am Verhandlungstisch ist unter anderem die VR China. Ihren Vorgänger im Amt des Politischen Direktors, Jens Plötner, hat sich Olaf Scholz als außen- und sicherheitspolitischen Berater ins Kanzleramt geholt.

Fazit: Die deutsche Chinapolitik wird sich auch unter dem Einfluss der wichtigsten Berater schon bald vom „Gut Gemeinten“ zum „Notwendigen und Machbaren“ hin orientieren.

 

Johannes Pflug agierte unter anderem 15 Jahre als Vorsitzender der Deutsch-Chinesischen Parlamentariergruppe im Deutschen Bundestag.